Wir hatten einen Online Coaching Termin. Ich schalte die Kamera ein und sehe eine wunderschöne dunkelhaarige junge Frau, leicht muskulös und dennoch elegant. Im Hintergrund eine stilvolle Wohnungseinrichtung. Die Fünfundzwanzigjährige war früher Leistungssportlerin, ist inzwischen beruflich erfolgreich, kommt aus gutem Haus. Sie hat einen Mann, der sie liebt.
Perfekter geht es nicht, oder?
Doch. Denn sie vertraut mir an, dass sie sehr unter ihrer eigenen Gleichgültigkeit leidet, sie kann sich nicht mehr richtig freuen, zieht sich am liebsten zurück. Und vor allem, spürt sie nicht mehr, was sie will. Sie erinnert sich an ihre intensiven Gefühle in der Kindheit – die Freude am Spielen, die Leichtigkeit. Mit anderen Menschen zusammen zu sein, empfindet sie oft als anstrengend, sie zieht sich immer mehr zurück. „Ich werde zum Eigenbrötler“.
Sie suchte mich auf, da sie mich in meiner Öffentlichkeitsarbeit als jemand erlebte, die in Balance ist und weiß was sie will. Ich habe ihr gleich verraten, dass ich gar nicht so perfekt bin. "Ich möchte das auch finden", sagt sie. "Die innere Zufriedenheit, das okay mit sich und dem Leben sein, die Lust am Leben und sie will wieder wissen, was sie will."
„Du bist damit nicht allein“, ist meine erste Reaktion. Viele fühlen sich gerade so.
Das Smartphone macht uns unzufrieden, es lässt uns nach immer neuen Kicks Ausschau halten.
„Smartphones machen uns zu Dopamin-Junkies“, sagt die Suchtexpertin Anna Lembke (1). Sie nehmen uns die Freude an den kleinen Dingen. Doch das wirkliche Leben besteht nunmal eher aus den kleinen Freuden als den wuchtigen großen Liebesgefühlen, Traumjob-Situationen, immer währenden Erfolgen. Das echte Leben ist weniger bombastisch.
Wir brauchen einen Blick für die vielen schönen wunderbaren kleinen Momente, den haben wir oft verloren, auf der Suche nach dem nächsten Dopamin-Kick.
In unserem Hirn gibt es das sogenannte Belohnungssystem, dort wird Dopamin freigesetzt, wenn wir uns gut fühlen. Das ist zum Beispiel, weil wir viele Likes auf Instagram oder LinkedIn erhalten oder sportliche/berufliche Anerkennung von anderen bekommen oder frisch verliebt sind. Dieser Dopamin Schub macht uns euphorisch. Das fühlt sich gut an, davon wollen wir mehr. Und wenn dieses tolle Gefühl nicht sofort wieder kommt, dann stimmt etwas doch ganz offensichtlich nicht mit unserem Leben, so die häufige Schlussfolgerung. Normalität im Alltag wird dann häufig schon als Unzufriedenheit empfunden.
Oft bewirken die schönen Bilder und Stories von anderen in den sozialen Medien, dass das eigene Leben „nicht ausreichend glücklich“ wirkt. Es entsteht das Gefühl: „Ich lebe nicht intensiv genug“. Jugendliche bezeichnen sich daher zum Teil als depressiv, da sie ihr Leben als belanglos empfinden in einem Vergleich, der gar nicht dem normalen Alltag standhalten kann. Woanders sieht alles so wunderschön leicht aus: der Sport, die Liebe und der Job. Alles im Lot bei den anderen. Und natürlich alles nur eine Frage des oder der Richtigen in der Partnerschaft: wenn du diese Person gefunden hast, dann wirst du glücklich sein.
Ein befreundeter Single fragte sich irritiert: „Immer die gleichen Gesichter auf der Dating-Plattform. Auf der Suche nach was?“
Ich selbst ertappe mich dabei, dass ich nach den intensiven Corona – Zeiten persönliche Treffen mit Freunden mehr bevorzuge als Telefonate und online surfen. Ich will weniger Instagram, weil ich das echte Leben gerade genieße. Und zugegeben manchmal gerne noch mehr Freunde haben möchte. Und wenn ich dann diese Freundschaftsbilder auf Instagram oder die Frauenförderungsfotos auf LinkedIn sehe, spüre ich bisweilen einen Stich. Dann denke ich gelegentlich: „Wenn du mehr Freunde und ein größerer Netzwerk hättest, dann….“ Unsinn, ich habe wunderbare Freunde und ich habe ein Netzwerk.
Wir sind füreinander da, auch wenn es nichts zu lachen gibt, auch wenn ich nicht der größte gehypte Star am Himmel bin. Wir Menschen neigen dazu, mehr zu wollen, das nennt sich Motivation. Es kann aber auch dazu führen, dass wir zu wenig sehen, was wir bereits alles haben. Aufgrund unseres Antriebs nach (noch mehr) Sicherheit und Belohnungsreizen.
Wir Menschen haben ein enormes Bedürfnis nach Sicherheit und Belohnung. Oft wird Sicherheit im Außen gesucht: wenn das und das passiert. Dann wäre mein Leben (noch) besser.
Eine hervorragende Triathletin bekennt bei mir im Coaching: „Ich frage mich dann im Wettkampf plötzlich: Wie sollst du im Laufen oder Triathlon gewinnen können, wenn du so viel weniger Zeit zum Trainieren hast als die anderen auf Strava? Sie werden alle besser sein als du. Dann kommt die Phase, wo ich aufhöre zu kämpfen, wo ich so denke, ach komm….dann werde ich halt 5. oder 6.….ist auch egal. Ich denke dann immer: ach, die trainiert viel. Die hat Fortschritte gemacht. Ich beschäftige mich mehr mit denen als mit mir selber. Das nervt mich.“ Das kennst du?
Das Problem entsteht, wenn du dich zu sehr auf das Soll konzentrierst und zuwenig auf dich achtest.
Wie gut andere sind, kannst du nicht beeinflussen, wie du selbst aufgestellt bist, schon. Also konzentriere dich weniger auf das Ergebnisziel (z.B. Rangliste), als darauf, dein Bestmögliches an diesem Tag unter den gegebenen Umständen zu geben (dein persönliches Leistungsziel). Denn genau das ist mentale Stärke. Wenn du für dich alles gegeben hast, dann kannst du stolz auf dich sein. Und dann wirst du auch stabiler, weil der Fokus bei deinem Gestaltungsraum, deinem Können liegt.
Doch genau hier setzt meistens das Problem an, viele wollen nicht über sich nachdenken, denn das fühlt sich ungut an, schafft erstmal noch mehr innere Unruhe.
Also lieber gucken, was die anderen machen, versuchen mitzuhalten, den nächsten Dopamin Kick suchen, so beschreibt das auch meine Klientin: „Es fällt mir schwer mich auszuruhen, dann fängt mein Kopf an zu rattern. Ich fühle mich faul dabei." Doch Resilienz, also mentale Widerstandskraft, braucht die Möglichkeit des Innehaltens, der inneren Ruhe. Sonst rasselst du in eine mentale Erschöpfung und stumpfst ab. "Aber ich beginne dann, meine Optionen im Leben durchzuspielen und merke, dass ich vielleicht gar nicht das will, was ich habe, sondern etwas anderes und dann spiele ich die Möglichkeiten durch und finde etwas anderes auch gut und dann das andere und das macht mich ganz kirre. Manchmal denke ich, wenn ich nicht Managerin, sondern Yoga-Lehrerin oder Schreinerin wäre, dann wäre mein Leben vielleicht erfüllter. Daher denke ich lieber nicht darüber nach.“
Du fühlst dich hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Konstellationen oder willst echt richtig richtige Entscheidungen treffen? So wie die junge Managerin? Oder der Single, der auf den Online Dating Plattformen immer weiter klickt, der stets nach einigen Dates oder wenigen Monaten, die nächste sucht, die noch besser passt, bei der sich endlich alles richtig anfühlt, kein Schmerz oder Unwohlsein. Dopamin für immer. Das gibt es nicht. Highlights gibt es nur, weil es Normalität, auch Schmerz und Sorgen gibt. Das Gute: es gibt mehr als eine richtige Möglichkeit, weil es nichts perfektes gibt. Du hast die Chance es zu dem Richtigen zu machen!
Ich sage zu meiner Klientin, die so hadert mit ihren Optionen: „Was für ein Glück du hast, dass du so viele Talente und Interessen hast, dich beruflich weiterzuentwickeln, wenn es dir im jetzigen Bereich nicht mehr gefallen wird. Das ist doch eine großartige Chance. Gefällt es dir denn in deinem aktuellen Job noch?“
„Ja schon“, antwortet sie.
„Was spricht dagegen, dass du dir nebenbei eine Yoga-Lehrer Ausbildung für dich gönnst, wenn du das willst, dann probiere das doch aus. Oder ein Wochenend-Kurs in der Schreinerei. Wir müssen doch nicht immer gleich alles beenden und etwas anderes tun, wir können doch manchmal auch Talente verbinden. Etwas ausprobieren und erschnuppern.
Erkenne deine Möglichkeiten im Ist-Zustand, statt nur das Soll zu fokussieren.
Und in der Partnerschaft können wir uns weiterentwickeln, in der Wertschätzung der wunderbaren Gemeinsamkeiten - ohne gleich alles nach wenigen Wochen oder Monaten anzuzweifeln, weil die Dopamin-Kicks weniger werden. Denn auch die nächste Person wird nicht nur Dopamin-Kicks liefern. Wir können aber selbst etwas dafür tun, sie wieder mehr miteinander zu finden.
Im Sport können wir voneinander profitieren, uns gegenseitig motivieren durch unsere Unterschiedlichkeit. Ich erinnere die Triathletin auch an ihre Stabilität: sie hat zwar nicht soviel Zeit zum Trainieren, dafür ist sie nicht verletzt oder krank.
Nicht die anderen sind für unsere Zufriedenheit und unser Glücksempfinden verantwortlich, sondern du selbst. Die Wirkung entsteht autonom in dir selbst – in deiner Art der Wahrnehmung des Erlebten.
Im Coaching wird meine Klientin ruhiger. Ihre Atmung verändert sich: die eigenen Optionen nicht mehr als auswegslose Bedrohung, sondern als Gestaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen, erleichtert sie. Ich zeige ihr zwei mentale Techniken.

Vielleicht können dir diese Techniken auch wieder neue Freude und Zufriedenheit bringen? Sie schaffen - regelmässig angewendet - mehr innere Balance und zugleich trainierst du deinen Fokus zu verändern.
Technik 1: Alltag-Highlights bemerken
Ziel: Sammle deine positiven Momente im normalen Alltag
- Tagsüber: 3x täglich Positives mit allen Sinnen aufsaugen
- Abends: Erinnere dich abends an drei positive Dinge, davon eine positive Gegebenheit mit allen Sinnen nacherleben.
Anfangs wirst du dir schwertun, drei positive Dinge zu finden, das ist normal. Mache weiter. Irgendwann kommst du vielleicht an den Punkt an den meine Klientin kam: einmal radelte sie an einem LKW vorbei, der umgestürzt war und voller Erdbeeren beladen war. Alle andere Verkehrsteilnehmer waren genervt. Wegen des kurzen Staus fuhren sie fluchend daran vorbei, doch meine Klientin sog den intensiven Erdbeermoment ein.
Technik 2: Der neue Blick
Ziel: bewusstes Wahrnehmen bei einem Lauf oder Spaziergang
- Laufe oder gehe in einem ruhigen Grundlagentempo
- Sieh dir alles um dich herum genau an: als ob du an einem Urlaubsort bist, an dem du noch nie zuvor warst. Siehst du die blau gestrichene Garage, das Haus mit großem Balkon usw.?
- Achte darauf, möglichst viel wahrzunehmen, ohne zu werten. Es ist egal, ob du die Garage hässlich findest, die Übung ist sie genau wahrzunehmen.
Und wenn du Lust hast uns davon in den sozialen Medien zu erzählen, dann ist das völlig okay. Vielleicht sogar mit dem Hashtag #lifeuplifted oder #thissweatisforme , den ASICS gerade für laufende Frauen ausgerufen hat.
Doch wenn du diesen Moment einfach für dich genießen willst, dann lass es zu. Denn kleine Geheimnisse, die wir nicht mit allen teilen, sondern z.B. nur mit ausgewählten Personen schaffen auch besondere Momente. Live Uplifted.
Quelle:
Süddeutsche Zeitung Magazin, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/smartphone-sucht-anna-lembke-dopamin-91362, abgerufen am 23.03.2022
Fotos:
Header und Foto mit Familie: Andy Astfalck
Foto 3: privat
Foto 4: Daniel Kezele / Triathloncamp
erstellt von
Daniela Dihsmaier
Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Mentaltraining von München
Altersklasse: W40
Verein: TRITIME WOMEN Team
Trainer: Susanne Buckenlei